Bello und Dreck | travel writing
Verona, 17 February 2018
Selbst gemessen an meinen üblicherweise hohen Standards der Desorientierung war das bemerkenswert: falsch herum in die Ubahn einzusteigen, nachdem ich ohnehin am Morgen schon Zeit mit angeblich dringenden Emails verloren hatte. Als ich von dem Ankündigungstext für das Revolutions-Panel, der auch noch vor Urlaubsanbruch zu tippen war, aufsah, war die Ubahn am Jakob-Kaiser-Platz und der Abflug in weniger als einer Stunde. Von Schönefeld, wohlgemerkt, nicht von Tegel.
Dann aber der beste Taxifahrer der Welt. “Die linke Spur ist unsere” sagte er, suchte mir im Abflugticker das Gate raus und als der Flug pünktlich angezeigt wurde, meinte er aufgeräumt: Soll isch anrufen, Bombendrohung machen? Ist ganz einfach, sag isch ‘Allah akbar’ und fertig.”
Ich hätte wirklich fast geweint vor Freude als ich am angeblich längst geschlossenen Gate der normalen Ryanair-boarding-Horde ansichtig wurde. Und habe bei der Taxizentrale angerufen, um meinen Dank zu übermitteln. Den Ankündigungstext habe ich während des Flugs auch noch ganz gut hingekriegt.
In Venedig dann erstmal der Bus nach Mestre, dort eine knappe Stunde Aufenthalt und der erste italienische Espresso seit langem. Als wär’s ein anderes Getränk. Als ich zum Gleis wollte, konnte ich mein Ticket nicht mehr finden. Wirklich überhaupt nicht mehr. Und dann hat die Dame am Schalter sich einfach an mich erinnert und amüsiert strahlend ein neues ausgedruckt. Den Zug hab’ ich auch noch erwischt und sehe nun aus ihm heraus, nachdem ich mir eine halbe Seite italienischer Adjektive eingeprägt habe. Gerade würde mir auch das eine erste auf der Liste ausreichen.
Bello. Alles ist schön, einfach alles, alles. Die Zypressen am Horizont, die Überlandkabel, die Lagerhallen und Bauzäune und Bauschutthalden. Ein LKW mit dem Schriftszug Schlemmermüller und ein quietschgelber Reisebus. Leitplanken, Europaletten. Alles wunderschön. Polytunnel, Weinreben, Balkon-Markisen. Ehrwürdige Villen mit blätterndem Putz und gänzlich unwürdige Werkanlagen, flachdächig, glattfassadig, hochgezogen für ein paar Jahrzehnte der Nutzung aus Material, das sich in Äonen nicht wird rückstandsfrei recyclen lassen. Trotzdem schön, trotzdem das Werk arbeitender Hände und gebückter Rücken, trotzdem – wenn auch weniger augenfällig als die Schönheit der Kapellenkuppel dazwischen – angelegt darauf, irgendein menschliches Bedürfnis zu befriedigen. Container, Kabelrollen, Efeu-ersticktes Gebüsch. Das veronesische Stadttor von Puorta Nuova aus Granit und davor eine Tankstelle, Esso Express. Bello. Bellissimo.
Eben geht ein rosa angezogenes Mädchen mit einem flauschigen, weißen Schoßhündchen durch den Gang des Zugs. Der Hund hält an und hinterlässt einen kleinen, triefenden Scheißhaufen. Wenig später erscheint eine italienische Mutter in engen Jeans und hohen Stiefeln. Sie wirft gekonnt genau so viele Lagen Tempotaschentücher auf die Bescherung, dass sie den Haufen aufwischen zu kann, ohne dass die Scheiße an ihre Finger durchsuppt. Arbeitende Hände und gebückte Rücken. Manche machen Dreck, manche machen ihn auch noch weg.